die mit dem kopierer tanzt

 

Es ist soweit: kurz vor 18 Uhr flattern keine Blätter mehr ins Ausgabefach, dafür Großarlarm am Gerät in Fach 3. Das zwerchfellhohe Gerät piepst in einem Dauerton. "Muss das wirklich jetzt noch sein. Funktionier doch einfach. Was ist dein Problem?". Sie drückt zuerst mal die OK-Taste und zumindest der Alarm gibt Ruhe. "Tja, 17:55. Das wird dann wohl heute nichts mehr."

 

Lilly tanzt rechts um den Kopierer, geht vor ihm auf die Knie und schiebt ihre Fingerspitzen in das Ausgabefach 3 zwischen die schwarzen Rollen, findet nichts. "Willst auch nur meine Geduld testen, hmm?", spricht sie das Gerät direkt an, als sie merkt, dass nach dem Zuklappen, die Blätter wieder weiterflattern. "So einer bist du also?". Sie schiebt den nächsten zentimeterdicken Stapel ins Einzugsfach. "Da hast du noch mehr."

 

Nebeneinander liegen nun vier Papiertürmchen, auf die wieder die Pins auf den richtigen Seiten angeklebt werden sollen. Die Zeit läuft: 17:57. "Weißt du was: Vergiss es!". Sie nimmt was sie kriegen kann, zählt die Blätter, notiert die Kopienanzahl, nicht ohne sich zu wundern, dass in dem Polizeiakt mitten drinnen etwa 25 Seiten fehlen. "So, Ende. 17:58."

 

Sie lässt den Kopierer Kopierer sein, fährt den PC herunter, Kassettengerät aus, schließt das Fenster, trennt die Verbindung des Stromrelais mit dem dafür erfundenen Schalter, der farblich zur Farbe der Wand passt, nimmt so dem Leuchtmittel seine Kraft und es wird dunkel im Raum. "Hätten sie noch Zeit? Vielleicht könnten sie heute etwas länger machen. Ich hab da noch etwas Dringendes.". Licht an, PC an. "Ja, sicher kann ich.". Da die Arbeitgeber zu ihr "Ja." gesagt haben, sagt sie auch "Ja."

 

Außerdem ist sie immer gut gelaunt, weil sie sich an ihre ersten Tage erinnert, wenn sie Anwalt X sieht, der sich mit ihr beschäftigt und mit Geduld das abartig verwilderte Lockdown-Wesen domestiziert hat. Ihre Haare waren struppig, die Figur aus der Form, die Kleidung aussortiert, der Schrank wartet auf aktuelle Neubefüllung, der Wortschatz geschrumpft auf "Moin. Wie gehts? Was brauchst du?" und das auch nur ihrem Sohn gegenüber, das Ego aufgeblasen, wie es eben so passiert, wenn man monatelang vorwiegend die eigenen Zimmerwände gesehen hat.

 

"Ob es anderen Menschen auch so ging?". Sie ließt Headlines oder verfolgt Gesprächsrunden im TV, wo genau das Thema behandelt wird: ´Niemand kennt einen Corona-Patient, aber dafür ruinierte Existenzen.´ und überhört sehr gerne den Werbeslogan, wo eine männliche Stimme mit beruhigendem Klang und einer winzigen Prise Begeisterung meint: ´Vielleicht wird es nie wieder wie früher...`

 

 

Lilly ist sich sicher, dass sich die Situation schneller ändert, als wir es glauben. "Was ist mit Flüchtlings-Thema - war da, nun wieder Ebbe, was ist mit CumEx und Beraterkosten - war da, nun Ebbe, was ist mit Klima - war da, nun Ebbe." Sie schüttelt den Kopf und überlegt, wie man den inzwischen langweiligen und kostspieligen Akt des Theaterstücks zu einem Ende bringen kann.